Übersicht

Wir wachen in Gefrees am Straßenrand auf und packen unsere Hängematten zusammen. Eine Anwohnerin empfiehlt uns einen Bäcker, doch der Laden ist geräumt. Ein paar leere Geschäfte weiter finden wir ihn dann doch – er musste vergrößern. Ein Glück! Wir decken uns mit Frühstück und Verpflegung ein. Das inoffizielle Tagesziel ist der Fichtelberg, bis dahin sind noch fast 150 km und 3000 HM zu überwinden. Also lieber eine Laugenbrezel zu viel kaufen. Immerhin haben wir heute keine Probleme mit der Wasserversorgung. Trotz Warteschlange werden vom freundlichen Personal alle Wasserbehälter gefüllt und sogar die Powerbanks geladen, während wir vor der Bäckerei in der Sonne schlemmen. Bevor es losgeht, müssen noch die Reifen mit ein paar „Gummiwürmern“ versorgt und verlorene Dichtmilch nachgefüllt werden. Der Reifencheck gehört auf langen Fahrten genauso dazu wie die Kettenpflege. Die Dichtmilch hat ein paar kleinere Löcher und Risse geschlossen, Luft entweicht trotzdem schleichend. Da wir, wie meist, erst in der Dunkelheit unser Camp aufgebaut haben, gilt auch heute: Die Zeit größere Schäden zu versorgen muss am Morgen drin sein. Der Dart hat gesessen, es kann losgehen.

Strecke über den Fichtelberg bis zum Tagebau Jänschwalde
Das Höhenprofil zur Strecke

Keine Zeit sich warm zu rollen, ab Kilometer eins und für die nächsten zehn Kilometer geht es bergauf. Der Weg führt uns stufenartig den nördlichsten Fichtelgebirgshang hinauf. Auf steile Stiche folgen meist seichtere oder sogar einige wenige abschüssige Passagen. Kurz bevor der schöne waldige Anstieg endet, sehen wir linker Hand ein ungewöhnliches Gebäude. Ein einmaliges sogar erfahren wir später, da es sich um den einzig erhaltenen Bärenfang Deutschlands handelt. Die mächtigen Granitquaderwände stehen seit dem 17. Jahrhundert unverändert da. Wie weich und organisch dagegen die Ecken- und Kantenlosen Felsentürme des großen Waldsteins wirken. Kaum zu glauben, dass es sich um das gleiche Gestein handelt. Einmal die Felsen begrapschen (grobes Sandpapier), in der Gaststätte Flaschen füllen und eine Kleinigkeit essen während wir Gäste und Wanderer beobachten. Bald schon schwingen wir uns wieder auf die Räder. Nach ein paar hundert Metern Asphalt rollen wir auf bequemen Kiespisten durch einsamen Wald. Bergab. Eine Senke und ein knackiger Gegenanstieg noch, dann geht es sehr lange mühelos voran.

Als wir bei Fahrenbühl die Strasse überqueren und kurz im Schatten halten machen wir Bekanntschaft mit dem sehr freundlichen Hofbesitzer. Da wir ein Gefühl für die Abgeschiedenheit der Wege bekommen haben, füllt er vorsorglich unsere Flaschen auf. Der Wald wird düsterer und saftig grün. Wir fahren an vielen kleinen Gewässern vorbei, einige davon als Fischzucht angelegt. Wir unterqueren die D93 und durchqueren den Rehauer Forst, dann öffnet sich der Blick auf eine hügelige Agrarlandschaft. Hinter Oberprex stoßen wir auf das geschichtsträchtige Dreiländereck. Hier traf einst die innerdeutsche auf die deutsch-tschechoslowakische Grenze. Heute jedoch die von Bayern und Sachsen auf die Tschechische. Wir blicken etwas verwundert auf ein auf 1945 datiertes Grab, dem unbekannten deutschen Soldaten gewidmet. Das hingebungsvoll gepflegte Kreuz mit Wehrmachtshelm und Eisernem Kreuz wirft Fragen bei uns auf. Leider nur ganz kurz bewegen wir uns auf einem wunderschönen Trail, dem Fernwanderweg E3 der durch 11 Länder von Spanien nach Bulgarien führt. Dann holpern wir auf überwucherten Grenzwegen aus Lochbetonplatten dahin, gefühlt viel zu lang. In einem lichten Birkenwäldchen hat ein Pärchen sein Lager aufgeschlagen. Er unterbricht sein Flötenspiel und sie erzählen uns von ihrer Reise mit Pferden und Hund. Einige unserer Streckenabschnitte überschneiden sich, sie sind nur schon deutlich länger unterwegs, und beneidenswerter Weise „open end“ was Zeit und Ziel angeht. Vielleicht das Baltikum, vielleicht das Nordkap – bei uns ist das Ziel klar definiert und der Zeitrahmen auch, deswegen geht es nach einem kurzen Plausch weiter.

Ein paar Kilometer folgen wir grob dem Grenzverlauf zu Tschechien, bis auf Höhe von Adorf im Vogtland. In dem am Hang gebauten Ort verlassen wir die offizielle Strecke Richtung Supermarkt auf einem steilen Stich den wir nach der Pause wieder hochklettern. Ganz unnötig, als wären auf dem heutigen Abschnitt nicht schon ausreichend miese Stiche! Könnte man meinen. Oder: ganz korrekt, der Track wird dort weitergefahren wo er verlassen wurde! Ansichtssache 😉 Jedenfalls sehen wir zur Abwechslung ein paar Häuser statt Bäume und das ist auch mal ganz schön…und eh ein kurzes Vergnügen, da wir kurz darauf schon wieder offene Landschaft bestaunen. Über uns weiter blauer Himmel und strahlender Sonnenschein, unter den Rädern dichte Piste aus feinstem Kies. Um die Nase weht warme Sommerluft und wir haben pralle Bäuche und Provianttaschen. Es geht uns ganz schön gut! Wir radeln beschwingt dahin, vorbei an goldenen Feldern, die sich strahlend von dem grün des Waldes absetzen. Es müssen Milliarden von Mohnkapseln sein die hier erntebereit stehen, genug für alle Mohnbrötchen Sachsens, zumindest in Corona Zeiten.

Wir gewinnen ganz allmählich an Höhe. Stundenlang fahren wir schnurstracks geradeaus oder in weitem Gekurve immer an der Grenze entlang. Auf besten Kiespisten durch hohe Tannenschluchte fährt es sich im Rhythmus der durch die Bäume einfallenden Sonnenstrahlen und vorbeiziehenden Grenzsteinen wie im Rausch. Im Winter ist das die Skimagistrale des Erzgebirges, eine Kammloipe für Langläufer. Auf diesem Skifernwanderweg kann man bei entsprechenden Schneebedingungen den kompletten Erzegebirgskamm entlangfahren. Mit Langlaufski ist es traumhauft hier oben im Winter, können wir aus eigenen Erfahrungen berichten. Aber auch mit den Gravelbikes macht es wahnsinnig viel Spaß! Bis auf ca. 900 m Höhe die Baumwipfel plötzlich kürzer werden und es grellpink blüht am Wegesrand: die Ausläufer des Erzgebirgs-Hochmoors Kleiner Kranichsee. Gebadet vom warmen Sonnenlicht verlassen wir den Grenzverlauf und rollen bergab Richtung Steinbachtal. Klein aber fein! Wir halten kurz an den Teufelssteinen und beobachten an den beeindruckenden Granit-Felsformationen ein einsames Pärchen beim Klettern. Wenig später müssen wir selbst wieder klettern. Den 7%-Anstieg der Breitenbrunn-Hauptstraße absolvieren wir im Schneckentempo – ideal um in den Schaufenstern erste Ausführungen der Erzgebirgischen Holzkunst in Augenschein zu nehmen.

Granit-Felsformationen der Teufelssteine

Dann kommt die letzte Abfahrt vor dem Fichtelberg-Anstieg. Die Erholung ist nur kurz und wir ergänzen sie um eine Snack-Pause an der geschlossenen Tankstelle in Rothenhammer. Es sind noch 15 km mit 600 Höhenmetern bis zum Gipfel des Fichtelberges. Auf! Jetzt muss wieder geackert werden und ganz passend wechseln wir zurück von Straße auf Feldweg. Der zum Teil etwas zerklüftete Weg verläuft zwischen Hauptstraße und tschechischer Grenze, dem Lauf der Bäche folgend am Hang entlang. In Tellerhäuser ist es schon fast 20 Uhr und wir sind hoch genug um über die Kuppe freien Blick auf die Abendsonne zu bekommen. Wir klettern schon ein Weilchen, und es sind immer noch 10 km bis zum Gipfel. Die möchten wir zum Sonnenuntergang geschafft haben. Das sollte auch klappen, denn bis auf ein paar gemeine Rampen ist der Anstieg sehr gleichmäßig zu fahren. Kurz vor der Skiarena wird der Fluss durch die etwas schwerfälligen Überquerungen von Skitrainingsstrecken unterbrochen. Danach kommt die Zielgerade, wortwörtlich. Als wir auf den Parkplatz vor dem Fichtelberghaus rollen, ist die Sonne noch deutlich über dem Horizont. Überall sitzen Ausflügler, die die letzten Strahlen genießen. Mit 1215 m haben wir den „Cima Coppi“ der Strecke erreicht. Natürlich gibt es noch einige Anstiege zu überwinden bis zur Ostsee, aber tendenziell geht es jetzt nur noch bergab. Prompt geraten wir mit zwei weiteren Radreisenden ins Gespräch. Das Paar will über die Sommermonate die höchste Gipfel in jedem Bundesland erradeln, ganz entspannt. Aber er kann auch anders, lesen wir zwischen den Zeilen, als wir uns über Ausrüstungen austauschen und er von seiner Transcontinental Race Erfahrung erzählt. In Sachen Langstreckenrennen hat er also deutlich mehr Erfahrung vorzuweisen als wir, auch wenn man es den vollgepackten Touren-Rädern nicht ansieht. Bevor es dunkel wird, fährt jeder seiner Wege um ein geeignetes Plätzchen für die Nacht zu finden. Heute haben wir Lust auf Luxus, gekochtes Essen und eine warme Duschen, und steuern die Sportbaude Waldeck an. Der holprige Downhilltrail überquert an einigen Stellen die ehemalige und nun verwilderte Rennrodelbahn Oberwiesenthal. Nicht wissend dass Mutige ihrem Lauf folgen können, bleiben wir auf BTG-Kurs und erreichen auch bald unser Ziel. Nicht rechtzeitig für ein warmes Essen erfahren wir, nachdem wir uns intensiv und voller Vorfreude mit der Speisekarte auseinandergesetzt haben, der Koch ist schon weg. Aber Bier bekommen wir, und eine üppige Käseplatte. Nach einer heißen Dusche lümmeln wir uns in unsere Hängematten und genießen. Im Dunkeln stören uns die Wohnmobile unweit der Bäume an denen unsere Matten hängen auch gar nicht mehr… Dafür aber das Knallen das kurz darauf durch die Stille hallt – Feuerwerk? Direkt im Naturschutzgebiet? Das Appartementhotel next door darf offenbar. Durch die Bergflanken hallen die Explosionen der Feuerwerkskörper bedrohlich nach. Es werden einige Camper auf dem Platz wach und die Meinungen zum Feuerwerk reichen von Unverständnis bis Begeisterung. Ein langer Tag geht mit einem großen Knall zu Ende.

Wir starten den Tag pendelnd zwischen sonniger Terrasse und Frühstücksbuffet – zu Fuß! Nach etlichem hin und her raffen wir uns auf. Die heutige Etappe ähnelt der gestrigen in Intensität, ein kleiner Zeitpuffer nach hinten ist also nicht verkehrt. Gestern Abend haben wir die Gelegenheit genutzt um mit warmen Wasser und Seife unsere Kleider zu waschen. Das meiste ist trocken oder nur noch feucht auf der Haut, aber die Handschuhe können noch etwas Fahrtwind gebrauchen. So richtig griffig ist der Klettverschluss nun auch nicht mehr, denke ich als ich sie an meiner Arschrakete befestige… Vier Kilometer später sind die Handschuhe natürlich weg und ich drehe für die Suche nach ihnen um. Der Hang zurück auf den Fichtelberg stellt sich als der steilste Kilometer des Tages heraus. Zum Glück auf griffiger Betonpiste und von Erfolg gekrönt. Ich rausche zurück und sammele Wartende wieder ein. Gut so, waren wir ja eigentlich mit Elan gestartet.

Das erste Dorf, das wir passieren, ist Bärenstein. Zum Glück haben wir schon kräftig gefrühstückt, denn es ist Sonntag und alles ist hier verriegelt. Da sich Verpflegungsmöglichkeiten nicht häufen fahren wir in Jöhstadt an das Bahnhofsgebäude heran, in der Hoffnung eine Bäckerei zu finden. Ein bisschen weiteres Proviant für den Tag könnte nicht schaden. Niemand kann uns Auskunft geben. Ein winziges Schild an einer grauen Fassade weist einen Getränkeladen, aus der aber scheinbar geschlossen ist… Was soll’s wir fahren weiter.

Ab Schmalzgrube geht’s bergauf. Als nur noch linker Hand Wald und sich rechter Hand der Blick über die Wiese auf die Hügelkuppe öffnet, sehen wir schon von weitem die Hirtenstein-Baude. Es sind einige Spaziergänger unterwegs auf dem Feldweg, oben auf 890 m angelangt ist aber keine Menschenseele zu sehen und die Baude geschlossen. Vielleicht ganz gut denn so kommen wir in den Genuss des selbstgebackenen Kuchens, der von einem netten älteren Paar im Nachbargebäude verkauft wird. Wir halten nur kurz inne um die fächerförmige Basaltformation des Hirtsteins und die historische Station der königlich-sächsischen Triangulation zu bewundern, denn dann können wir erst einmal einfach rollen lassen. Ein paar Kilometer weiter trennt uns nur noch die schwarze Pockau von der Grenze. Ihrem Lauf folgen wir auf dem Zeuggrabenweg oder dem Grünem Graben. Die wunderschönen Trails führen uns entlang der Gräben die zur Nutzbarmachung der Moorgebiete der Mothäuser Heide zu Zeiten des Bergbaus angelegt wurden und aus deren Wasser sich der Fluss speist. Heute steht das Gebiet unter Naturschutz und die Pfade sind dem Wandern gewidmet. Mit etwas mehr Geschicklichkeit als gewohnt schaffen wir den feinen Balance-Akt zwischen Graben, wadendicken Wurzeln und dem gelegentlich entgegenkommenden Verkehr. Die 1,50 m Sicherheitsabstand wurden zugegebenermaßen nicht eingehalten. 

Auch die ziemlich steile Abfahrt zur Saigerhütte Grünthal auf dem Stößerfelsenweg fordert unsere ganze Aufmerksamkeit. Majestätische Bäume, schroffe Felsen und rechter Hand zwischen den silbernen Stämmen aufblitzender Ausblick. Wir wissen nicht so recht, wo wir zuerst hingucken möchten. Die beste Wahl bleibt hier zugegebenermaßen der selbst zu dieser Jahreszeit noch mit Laub bedeckte und steinige Weg, denn die ruckelige Abfahrt fordert all unsere Aufmerksamkeit. Grünthal liegt wie ausgestorben da – ein Museumsdorf ohne Besucher. Den historischen Ortskern haben wir schnell durchquert, unsere Mittagspause machen wir weniger romantisch unter dem großen Blechdach der Tanke. Es ist ein sehr heißer Tag und wir freuen uns über Schatten und Eis. Wir verweilen und beobachten andere schwitzende Radfahrer und Motorradfahrer, denen es ähnlich zu gehen scheint wie uns.

Der verlassene Dorfkern von Grünthal

Auch den Kurort Seiffen streifen wir nur. Im Winter wimmelt es hier von Touristen die sich in den Schauwerkstätten mit Erzgebirgischer Volkskunst eindecken. Jetzt erblicken wir kaum eine Menschenseele, bevor wir passender Weise in Bad Einsiedel wieder im Wald abtauchen. Leider werden zwischen Grünthal und Deutschgeorgenthal Waldstücke immer wieder von längeren Passagen auf großen Hauptstraßen unterbrochen, und nur so gelangen wir auch auf der deutschen Seite über die Talsperre Rauschenbach. Kurz hinter Deutschgeorgenthal biegen wir dann auf den Grenzweg ab, dort ist der Spuk schlagartig vorbei. Die nächsten 20 km bewegen wir uns im Wald auf feinsten Schotterpisten stetig bergan. Unterbrechung mit Gruß aus der zivilisierten Welt bietet der Weg als er uns am Sporthotel in Neuhermsdorf vorbeiführt und plötzlich gesäumt wird von jungen Bäumen die im Beweis ewig andauernder Liebe gepflanzt wurden. Kurzzeitig trägt jeder Baum ein zwei-Namensschild. Für die Allee, die es mal werden wird, wird wohl der eine oder andere Baum gefällt werden müssen… Dann wird der Weg zur Piste, die junge Allee wieder zu dichtem Wald und wir rauschen dahin. Die Steigung ist perfekt, kurze steile Stiche unterbrochen von angenehmen Faux-plats. Voller Elan erreichen wir das Hochmoor vor Georgenfeld. Noch beschwingter geht es weiter, nun wissend dass wir den Großteil der Höhenmeter für heute geschafft haben, und wir in Bad-Schandau von guter Gesellschaft mit Picknick erwartet werden. Lob den Tag nicht vor dem Abend! Wenige Kilometer weiter schlitzt ein Stein Hannes Vorder- und Hinterreifen auf. Mit einem Stein zwei Löcher. Die Reparatur dauert seine Zeit. Ein Reifen muss mit Babytüchern von der schleimigen Tubeless Milch gereinigt werden um mit Schlauf weiter zu fahren. Der andere Reifen kann notdürftig zusammengeflickt werden, so dass er nur noch „wenig“ Luft verliert. Bis an die Ostsee wird aber keine der beiden Reperaturen halten.

Es wird schnell klar, dass wir auf den aufgeschlitzten Reifen nur noch im Schontempo und mit Reifenchecks und Aufpumppausen unser Ziel wenn überhaupt, dann jedenfalls nicht rechtzeitig erreichen werden. Mal abgesehen von der ungewissen Planung, können wir das gemächliche Vorankommen aber fast genießen. Das Abendlicht scheint golden auf den Fürstenauer Grenzwiesen, noch güldener auf der Oelsener Höhe, und die kleinen asphaltierten Strassen auf denen wir unterwegs sind sorgen hinsichtlich der Reifen für Entspannung. Nur einmal spurten wir uns noch, als wir bei Meiselmühle an einem einsamen Haus vorbeikommen dessen dünner Gartenzaun kaum der Rage der zwei Höllenhunde dahinter gewachsen zu sein scheint. Wie tollwütig schießen die Hunde laut kläffend auf uns zu, und wir haben unsere Zweifel ob der betagte Zaun die angestachelten Tiere wirklich zurückhält. Wir spurten auf dem zugewachsenen Weg vorbei. Ufff. Rosenthal-Bielatal ist unser neu erklärtes Ziel, und dort angekommen entscheiden wir uns die Reifen-Frage für heute zu vergessen. Dank feinem Essen und Bier klappt das auch ganz gut. 

Wir wachen unter sanft raschelndem Birkenlaub auf und mit der über uns dräuenden Reifenfrage. Wir suchen online nach Fahrradläden in der Nähe, werden nicht so richtig fündig. Weil wir nicht den Weg nach Pirna oder gar Dresden auf uns nehmen möchten, setzen wir alles auf Bad Schandau. Der dort vermerkte Laden ist telefonisch nicht erreichbar, und wie sich dann vor Ort herausstellt als Fahrradladen weder erkennbar noch zugänglich. Ein paar Rahmen und Teile hängen verlassen in einer Hoffeinfahrt. Hier bekommen wir sicherlich nicht was wir brauchen. Die Ausweichoption war ein Laden in Köngistein, der „nur“ einen 16 km Umweg entfernt liegt. Zum Glück erfahren wir bevor wir den Weg auf uns nehmen, dass auch dieser Laden vorübergehend geschlossen ist. Ein Elektrorad-Verleih verkauft uns dann wenigstens einen zusätzlichen Ersatz-Schlauch, doch mit einem mit Auto-Ventil. Den können wir mit unseren Luftpumpen zwar nicht füllen, aber sollte ein weiterer Schlauch kaputtgehen konnten wir ihn wenigstens an der nächstgelegen Tanke wechseln. Naja, wir haben keine Wahl und fahren weiter. Vor der holperigen Abfahrt nach Bad Schandau haben wir schon den wunderschönen Abschnitt bis zum Katzsteinfels bewältigt, von wo aus wir den 360° Blick über die umliegenden Wälder genossen haben. Überhaupt wird die heutige Strecke trotz Reifenfrage und dem damit verbundenem langsameren Vorankommen ein Genuss. Es ist der letzte Tag mit nennenswerten Höhenmetern und wir fahren teils auf weichem Nadelteppich durch hohe Nadelwälder, teils auf kleineren anspruchsvolleren Trails oder auf Forstpisten. Immer wieder kommen wir auch an abgeforsteten Gebieten vorbei, in denen die Wege von den schweren Maschinen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die einigen wenigen asphaltierten Passagen sind autofrei. 

Erst bei Kilometer 62, nach dreiviertel der Strecke in Schirgiswalde, kommen wir wieder in Kontakt mit Zivilisation und unerwarteterweise auch Fahrrad-Hochkultur! Normalerweise vermeiden wir Markenerwähnungen für Berichte, aber an dieser Stelle sei explizit der super sortierten HiT-Bikes-shop erwähnt. Hier bekommen wir genau was wir suchen und noch viel mehr. Vor allem ganz viel Freundlichkeit. Wir dürfen im Hinterhof die Reifen wechseln und bekommen Werkzeug, Montageständer, Hilfsmittel und sogar Druckluft für die Reifenmontage ganz selbstverständlich dazu. Die Mitarbeiter entschuldigen sich noch dafür, dass sie ob der vielen Kundschaft nicht selbst mit geholfen haben. Wir haben eher damit gerechnet, die Geländetauglichkeit von zB Schwalbe Marathon Stadt-Reifen testen zu müssen – jetzt sind zwei frische Gravel-Tubeless Reifen montiert und wir konnten alle Verbrauchsmaterialien wieder auffüllen. Getaner Dinge entscheiden wir uns für die das letzte Stück des Tages noch zu stärken, es ist offenkundig die letzte Gelegenheit. Die verheißungsvolle Kloßmühle hat geschlossen, aber Falafel und Cola gehen auch gut runter. Nun glücklich und deutlich entspannter machen wir uns wieder auf den Weg. Wie es rollt! Wald, Wald und nochmal Wald. Einen einzigen Weiler durchqueren wir noch. Hier werden Hühner- und Kleinvieh-Gehege sorgfältig von allen Seiten mit Maschendraht gesichert. Wolf oder Fuchs? So genau wollen wir es nicht wissen. 19 km Wald, ein Kilometer Straße und zwei Straßenüberquerungen hinter Schirgiswalde finden wir in Hochkirch eine wunderbare Eichen-Insel auf einem ehemaligen Campinggelände. Nach einigem Rumprobieren bekommen wir unsere Hängematten perfekt arrangiert. Das ist bei so einer kleinen Baumauswahl gar nicht selbstverständlich, immerhin müssen die Matten so hängen, dass beide vom gemeinsamen Over- und Underquilt umsorgt werden. Wir schauen im Abendlicht über die Ebene und wissen ab hier kommt nur noch plattes Land. In dem Moment klingt das nach einem Selbstläufer in unseren Köpfen.

Fallende Eicheln können die heilige Nachtruhe ganz schön aufmischen – und zwar mit überraschender Wucht. Ein paar Handvoll davon entfernen wir am Morgen aus unseren Matten, bevor wir diese einpacken können. Im Ortskern kaufen wir im Supermarkt Proviant und Frühstück, das Café hat geschlossen. Die Sahne-Torte ist weder frühstücksgerecht noch gepäcktauglich, wer kam nochmal auf die Idee? Wir arbeiten gemeinsam an ihrer Beseitigung, während wir das rege Ein- und Ausgehen im Supermarkt beobachten. Wir werden mehrfach von interessierten Dorfbewohner auf unser Büffet angesprochen. Einem älteren Herren fällt sofort auf, dass zu unseren Brötchen die Margarine fehlt. Aber ein ganzes Pack wäre zu viel und etwaige Reste wären bei der Hitze in unseren Taschen zerlaufen, erklären wir ihm. Auch ein Fahrradfahrer fragt uns über die BTG-Strecke aus und erzählt von eigenen Reiseerfahrungen.

Felder so weit das Auge blickt: mittendurch fahren wir auf schnurgeraden Feldwegen und Straßen. Von der gestrigen Abgeschiedenheit ist nichts mehr zu spüren. In regelmäßigen Abständen kommen wir hier durch kleine Weiler und Dörfer. Als wir am Bärwalder See vorbeifahren sind die Strände voller Menschen und der Tag heiß genug für eine kurze Abkühlung. Beides gegeneinander abgewogen entscheiden wir uns einfach weiterzufahren. Heute müssen wir Strecke machen, um die letzten beiden kürzeren Tage wieder gut zu machen. Hinter Boxberg schlängeln wir uns zwischen Hauptstraße und Kraftwerk, dann führt uns der Weg in gerader Linie zwischen Braunkohletagebau Nochten und dem Truppenübungsplatz Oberlausitz durch. Zugegebenermaßen bekommen wir nicht viel davon mit, da Weg oder Straße meist von hohen Bäumen gesäumt ist. Bad Muskau erreichen wir über die Kuppe des Bergparks von der aus wir die Kuppel des alten Schloßes durch die Bäume stechen sehen. An einer Eck-Bäckerei am Ausgang des Parks kehren wir ein, wenn auch etwas enttäuscht über das Angebot. Die Gruppe Fahrradreisender die wir kürzlich überholt haben zieht vorbei. Wenig später holen wir sie in der seichten Abfahrt wieder ein. Die Einfamilienhäuser am Wegesrand strahlen einen grauen Charme aus und manch ein Gartenzaun verdient es verewigt zu werden. Auch die heruntergekommenen und wie zusammengewürfelten Türme der Fabrik-Anlage kurz darauf sind sonderbar ästhetisch. Dann kommt Wald, oder eher Bäume in Reih und Glied. Das ehemalige Militär- und nun Naturschutzgebiet des Zschornoer Waldes beeindruckt nicht gerade durch Abwechslung. Auf Entmunitionierung folgte Heidemanagement: Hier spürt man the hand of the maker in seinen Bemühungen. Bei Groß Bademeusel stoßen wir auf den Oder-Neiße Radweg, dem wir über 20 km folgen. Der Wind scheint uns ein bisschen zu schieben, denn wir fahren mit einem 30er Schnitt am Fluss entlang und genießen, dass es einfach mal rollt. In Forst steuern wir zwei Radläden an, da uns die Sitzcreme zur Neige geht. Einer davon ist geschlossen, der andere nicht aufzufinden. Dafür verlieren wir uns prompt vor lauter Suchen gegenseitig aus den Augen, und irren etwas um die Betonblöcke bevor wir wieder zurück zu einander und schließlich der Strecke finden. Der Radweg ist teils gesperrt oder renovierungsbedürftig, doch auf den besseren Passagen kommen wir gut voran, auch weil wir Geschichts-Banausen uns nicht von Sehenswürdigkeiten aufhalten lassen. Wir verlassen den Radweg erst bei Grießen, wo der Aussichtspunkt Tagebau Jänschwalde liegt. Der Ausblick von hier ist faszinierend wie erschreckend. Soweit das Auge reicht wurde hier alles zur Mondlandschaft gemacht. Man sieht nichts als Sand, Flora und Fauna sind vollständig zerstört. Wir erinnern uns an die „Rekultivierungsversuche“ der Tagebaulandschaften um Lauchhammer und wissen, dass hier so schnell nichts mehr blühen wird. Mit diesem Checkpoint endet der Abschnitt 3 der BTG und wir haben Mittagspause. Es ist 14:00 und wir haben schon über 100 km geschafft. So haben wir uns das Vorankommen vorgestellt in den flachen Gefilden Brandenburgs und so kann es gern weitergehen…

Fazit

Die Etappe zum Fichtelberg war gleichermaßen schön wie anstrengend und wir haben einen Großteil der Gesamthöhenmeter hinter uns gebracht. Darauf folgten zwei Zwangsruhetage aufgrund der Reifenprobleme. Dafür sind wir mit neuen Reifen im Flachland wieder richtig ins Rollen gekommen und überschlagen im Kopf schon, wann wir in an der Ostsee ankommen, wenn es so zügig weitergeht. Das ist vielleicht doch etwas voreilig…

TagKilometerHöhenmeter
81412900
91392400
10821520
11 (zur Hälfte)108500

https://cxberlin.net/reisebericht/transgermany/: Bikepacking Trans Germany Teil 3 – Sturm auf den Fichtelberg

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