Einleitung

Die Shimano GRX Schaltgruppe ist seit knapp einem Jahr auf dem Markt. Die Aufregung um die Gruppe war von Anfang an gewaltig und das Interesse an ihr ist nach wie vor groß.

Es handelt sich hierbei nämlich um die einzige Gruppe von Shimano, die ausdrücklich für die wachsende Gravel-, Bikepacking- und Cyclocross-Sparte vorgesehen ist. Aber auch Reiserennradler und Randonneure dürften sich von ihrem breiten Übersetzungsspektrum angesprochen fühlen. Bislang war es in all diesen Bereichen üblich, klassische Rennradkomponenten zu fahren.

Es spornt Sie an, noch schwierigere Strecken in Angriff zu nehmen oder noch ein Quäntchen länger durchzuhalten. So können Sie neue Welten entdecken.

Schimano.com

Nun tritt Shimano jedoch mit dem Anspruch an, erstmals eine eigenständige und vollständig „durchdachte Lösung“ für das Breitreifensegment unterhalb des Mountainbikes entwickelt zu haben: mit einer „auf Schotter abgestimmte[n] Halterungsergonomie“, robusteren Komponenten und geräuscharmen Antrieb.

Wie aber schlägt sich die Gruppe in der Praxis? Ist Shimano hier tatsächlich der ganz große Wurf gelungen?

Hier mein persönlicher Erfahrungsbericht nach respektablen 11.000 Kilometern

Ich habe die Shimano GRX jetzt seit einem Jahr mit einer Laufleistung von 11000 Kilometern auf Herz und Nieren geprüft. Anders als in den Produkttests vieler Hochglanzmagazine, wurde die Gruppe also nicht nur kurz fürs Foto ans Rad geschraubt, sondern musste sich bei mir im harten Alltagseinsatz im Gelände bewähren. Ganz gruppenrein war mein Aufbau jedoch nicht (siehe Tabelle).

Schaltverhalten

Zum Schaltverhalten kann man nur sagen: Das flutscht. Man muss die Schaltlogik von Shimano mögen, aber die Gruppe funktioniert einwandfrei, ohne große Schaltfehler. Gangwechsel erfolgen sowohl am Umwerfer, als auch am Schaltwerk jederzeit geschmeidig, zuverlässig und schnell.

Mit oder ohne Handschuhe klappt die Bedienung hervorragend. Auch ohne Kettenfänger kam es nur sehr selten zu Kettenabwürfen. Beim Herunterschalten mag der Umwerfer allerdings keinen Druck. Man muss also kurz die Kraft auf die Pedale reduzieren.

Einen Vorteil von 1-fach sehe ich nicht. Auch im Gelände möchte ich den Luxus von relativ engen Gangabstufungen genießen. Sogar in Berlin/ Brandenburg gibt es im Gelände punktuell durchaus giftige Anstiege, auf die man über den Umwerfer schneller mit einem Gangwechsel reagieren kann.

Da es von der GRX keine Schellenversion gibt, habe ich stattdessen auf Shimano 105 FD7000 gesetzt. Bei einem BB86 Pressfit Innenlager funktioniert der Umwerfer ohne Schleifgeräusche.

Mit dem Ultegra RX Schaltwerk läuft die Kette deutlich ruhiger als mit Rennradkomponenten und die Gangwechsel verlaufen auch bei Ruckelpassagen flüssiger.

Die Kassette von Sram harmoniert wunderbar mit den Shimano-Komponenten. Die etwas feinere Differenzierung im Mittelbereich führt zu einem runderen Tritt beim Schaltwechsel.

Verarbeitung

Bei der Langlebigkeit gibt es Abzüge: Zum einen löste sich bei mir recht schnell die „Anti-Rutsch-Beschichtung“ an den Hebeln, die laut Werbeaussage von Shimano für extra „Grip“ sorgen soll. Zumindest scheint der darunter liegende Lack um einiges robuster zu sein.

Zum anderen stellt sich mir die Frage, warum die Bauweise der Hebel „halboffen“ ausgeführt ist. Dadurch gelangt sehr viel Sand und Staub in die Mechanik. Nach einem Jahr war die ganze Mechanik komplett mit Sand und Schlammresten belegt.

Ein größeres Problem entstand, als die Spannfeder im rechten Hebel anbrach und die Funktionstüchtigkeit des Hebels nicht mehr vollständig gegeben war. Überraschend war für mich hierbei, dass die kleine Wippe nach genauer Inspektion lediglich von zwei kleinen Federn, beziehungsweise Drähten abhängt.

Durch die Hydraulikbauteile kann man die Hebel leider auch nicht mehr ganz so leicht zerlegen und selbst reparieren.

Nach langem Hin und Her wird mir der rechte Hebel schließlich auf Garantie ersetzt. Zuvor wurde immer wieder darauf verwiesen, dass der Schalthebel ein „Verschleißteil“ sei. Das ist nach etwa ein Jahr bestimmungsgemäßen Gebrauchs natürlich inakzeptabel.

Die Kettenblätter zeigen bereits deutliche Verschleißzeichen und werden daher nach dem nächsten Kettenwechsel ebenfalls gewechselt werden. Die Blätter sind relativ preiswert, allerdings würde ich mehr als 10000 km erwarten, auch wenn Sand, Schlamm und etwas Salz vom Winter am Material genagt haben.

Die Beschichtung der Kurbel scheint relativ robust zu sein. Lediglich grobe Steine haben dem Lack etwas angetan. Allerdings verschwindet das Logo recht schnell, wenn man mit dem Fuß an die Kurbel herankommt. Wer Wert auf das Äußere legt, sollte die Kurbel daher mit Schutzfolie abkleben.

Die Schaltröllchen vom Shimano 105 Schaltwerk waren nach etwa 8000km verschlissen. Vermutlich ist dies auch auf die veränderte Kettenlinie zurück zu führen (& das Fahren der „verbotenen“ Kombination zwischen Ritzel und Kettenblatt). Etwa zeitgleich musste ich die Ritzel meiner „Lieblingsgänge“ wechseln. Nach dem Kettenwechsel rutschte die Kette dort durch.

Bremsen

Von der Notwendigkeit hydraulischer Bremsen war ich lange nicht überzeugt: „Was macht man bei einem Defekt, wenn man mitten in in der Pampa steht?“ oder „Warum soll man eigentlich mit nur einem Finger den Hebel durchziehen können?“.

Man gewöhnt sich aber recht zügig an den Komfort, die automatische Belagsnachstellung und vor allem die Dosierbarkeit der Hydraulik. So muss man einfach weniger übers Bremsen nachdenken und kann sich auf das Wesentliche konzentrieren: Radfahren.

Das Bremsverhalten würde ich als sehr knackig und mit deutlichem Druckpunkt beschreiben. Die Beläge stellen sich auch gut selbst nach, sodass der Hebelweg nicht länger wird.

Laufradwechsel (mit baugleicher Nabe und Bremsscheibe) bekommt man sehr gut ohne Schleifgeräusche hin.

Entlüften musste ich bisher nicht. Die mitgelieferten Bremsbeläge halten außerordentlich lange: vorn nach ca. 6000km getauscht und hinten läuft immer noch der erste Satz. Ein baldiger Wechsel wird dort aber notwendig sein.

Fading habe ich noch nicht gehabt: selbst bei einem 500 Meter langen Teilstück (ca. 25% Dauergefälle) mit Gepäck und komplett durchgezogenen Bremsen (vorn und hinten).

Die Montage geht recht leicht von der Hand:

  1. Leitung kürzen
  2. Pin einhämmern, Mutter über Leitung stülpen & Olive nicht vergessen
  3. Leitung an STI stecken (STI sollte bei Montage nach unten geneigt sein)
  4. festschrauben

Mit etwas Geschick muss man nach der Montage nicht mal entlüften.

Einen Schwachpunkt stellt jedoch die Befestigung der Bremsbeläge dar: Warum verwendet Shimano hier eine Schlitzschraube als Befestigung? Unterwegs ist mit dem Multitool schnell mal ein Malheur passiert und der Schraubenkopf beschädigt. Das sollte man schleunigst tauschen.

Kleiner Tipp: die Schrauben der Shimano XT sind passgenau und sind Sechskant.

Fazit: Top oder Flop?

Würde ich mir die Gruppe nochmal zulegen? Ich denke ja – schon allein wegen mangelnder Alternativen. SRAM hat immer noch mit Kinderkrankheiten bei den Bremskomponenten zu kämpfen und Campagnolo ist mir persönlich schlicht zu teuer.

Das Schalt- und Bremsverhalten ist insgesamt sehr überzeugend. Positiv hervorzuheben ist auch, dass die GRX-Gruppe mit anderen Shimano-Gruppen kreuzkompatibel ist, man also bei Bedarf Komponenten mischen kann.

Die Übersetzungsbandbreite der GRX eröffnet zweifellos neue Möglichkeiten. Dabei erwies sich die Gruppe nicht nur für Räder abseits der Straße geeignet: Sie passt auch hervorragend ins Lastenheft der modernen Randonneure und Bikepacker auf der Straße. Selbst mit Gepäck sollte die GRX-Übersetzung jeglichen Bergen und Passfahrten ihren Schrecken nehmen. Bereits ohne Adapter wäre nämlich oft sogar eine Untersetzung von 30/36 möglich (wobei Shimano nur maximal 34 Ritzel vorgibt).

An der Haltbarkeit und Verarbeitungsqualität muss Shimano allerdings noch arbeiten. Eine Gruppe, die sich ausdrücklich an jene richtet, die „im Sattel die Welt entdecken“ wollen, sollte das Versprechen von Robustheit dann auch tatsächlich einlösen.

ProKontra
+ Schaltverhalten– Verarbeitung STIs
+ Schaltqualität– Haltbarkeit Kettenblätter
+ Bremsverhalten– kein Umwerfer mit Schelle
+ Haltbarkeit der Bremsen– Haltebolzen Bremsbeläge
+ Clutchmechanismus Schaltwerk
+ Preis (etwa Shimano 105er Niveau)

Transparenzhinweis

Alle Teile habe ich selbst erworben und es bestehen keinerlei Affiliations zu Shimano oder anderen im Artikel benannten Marken.

6 Responses

  1. Hallo,

    Und danke für diesen Dauertest mit der Shimano GRX Gruppe. Ich bin grundsätzlich auch sehr zufrieden mit mit dem Schalt- und Bremsverhalten von den einzelnen Komponenten. Was mich jedoch wirklich ärgert, und ich finde dann hätte man dieses “gimmick” besser weggelassen, ist die “Grip-Beschichtung”.Ich dachte, ich stehe mit diesem Problem alleine da, aber es scheint kein Einzelfall zu sein. Schon nach kurzer Zeit war sie bei mir gelöst und verleiht dem Rad ein schäbiges Aussehen. Bei keinem meiner Räder ist eine derartige Ablösung der oberen Schicht, auch bei mehr als 10 Jahren Einsatz, nicht zu verzeichnen.
    Klarer Minuspunkt in meinen Augen.
    Etwas Schade.
    Sonst eine solide Gruppe die Spaß macht.

    Beste Grüße,

    Ruben

    • Hallo,

      viel liest man über dieses „Problem“ nicht. Ich denke, es kommt darauf an, ob man „Schönwetterfahrer“ ist und ohne Handschuhe (Vollfinger) fährt. Für diese Kontaktfläche scheint die Beschichtung nicht geeignet.
      Aber ich stimme dir zu, dass dieses „Feature“ auch weggelassen werden könnte.

      Gruß Peddarson

    • Die Kupplung „Clutch“ ist stetig aktiviert. Man benötigt einen gering höheren Kraftaufwand beim Schalten – das stört mich persönlich überhaupt nicht. Man gewöhnt sich auch recht zügig daran.
      Ich denke, man sollte dabei auch die Zugführung nicht außer Acht lassen! Bei eng gelegten Zügen kann ich mir schon vorstellen, dass dies weitere negative Auswirkungen auf das Schalten halt!
      Man kann die Kupplung im Übrigen auch selbst nachjustieren (leichter oder auch noch straffer).

  2. Danke für den Testbericht! Allerdings zucke ich bei deinem Kommentar bezüglich deiner „Zurückhaltung“ gegenüber Hydraulikbremsen. Ich habe ja grundsätzlich nichts gegen Konservativismus, allerdings wirkt der albern wenn man darüber nachdenkt, seit wann hydraulische Scheibenbremsen bei Auto oder Motorrad auch am AdW (Arsch der Welt) verwendet werden – und mancher Radler meint immer noch, dass sei neumodernes Teufelszeug…

    • Nachteil der hydraulischen Lösung:
      Man soll das Fahrrad nicht hochkant oder kopfüber lagern. Kurzzeitiges Abstellen, z.B. für Reparaturen unterwegs, ist ok, aber die Bremsen sollten dann nicht betätigt werden.
      (Das mag einen persönlich nicht stören, andere Leute empfinden das aber anders.)

      Wer sein Rad nicht selbst aufbaut, verlegt die Leitungen in der Regel auch nicht selbst. – Und da wird auch von „Fachbetrieben“ gerne gemurkst. Bremsen nicht ordentlich entlüftet, nicht ordentlich dicht verbaut, … – Alles gar nicht so selten.

      Für Ölnachfüllung/Entlüftung braucht’s für halbwegs komfortables Arbeiten das Nachfüllset. – Hat nicht jeder rumliegen, ist auch Online nicht jederzeit verfügbar, …
      Wo man bei „Seilzugbremse“ relativ einfach Teile findet, kann es in diesem Punkt fix mal blöd werden.

      Und ja, Luft im System ist ziemlich doof. Am Wochenende, auf Mehrtagestour, … (Wer sich nur in Heimatnähe aufhält und alles Zeugs quasi immer in direkter Reichweite hat, der wird darin noch nicht einmal ein eventuelles Problem erkennen können.)

      PS. Ich fahre auch hydraulische Bremsen. Ja, der Komfort ist schon schön.
      Aber wenn man auf großer Tour, ohne viel Infrastruktur, wegen Luft im System den Griff bis zum Lenker ziehen kann, ohne eine anständige Bremswirkung zu haben, ist das auch hinten blöd, wenn man auf lockerem Untergrund unterwegs ist. (Was ich schon hatte. Und nein, so eine olle Olive wechsle ich nicht mal so nebenher am Wegesrand, Tage von Infrastruktur entfernt, die auch nur annähernd irgendwas an Fahrradläden- oder gar -werkstätten bietet.)

      Und der Vergleich zu Motorrad und Auto ist ohnehin untauglich. Da fahre ich mit großem (durchsichtigem) Ausgleichsbehälter, wechsle alle 2 Jahre das DOT-Zeugs und beide Fahrzeuggattungen werden zumindest bei mir weder liegend, noch hochkant oder kopfüber gelagert/transportiert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert